Schlaganfall nach Unfall – Kürzung?

Über Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung wird viel gestritten. Die Versicherer argumentieren oft, dass die Unfallfolgen nur so schwer seien, weil der Versicherte bereits vor dem Unfall krank gewesen sei oder Gebrechen, die auch „klinisch stumm“ verlaufen können, bei dem Unfall oder den Folgen mitgewirkt hätten. Dies rechtfertigt jedoch immer nur eine Kürzung der Leistung, die in der Regel auch erst ab einem bestimmten Prozentsatz (gewöhnlich ab einem Mitwirkungsanteil von 25%) greift. Die Beweislast für das Vorliegen einer Krankheit oder eines Gebrechens, für dessen Mitwirkung und das Ausmaß liegt beim Versicherer. Es gilt das „strenge“ Beweismaß des § 286 ZPO. Das wird oft verkannt, was auch ein Versicherer aus Bayern erkennen musste. Was ist passiert?

Persistierendes foramen ovale (PFO) – weder Krankheit noch Gebrechen im Sinne der AUB, sondern „Normvariante“

Unser Mandant kollidierte bei ca. 50 Km/h mit einem PKW und zog sich diverse Frakturen und Organverletzungen zu. Aufgrund eines akuten Nierenversagens erfolgte eine Notoperation mit Anlage eines Bypasses von der Aorta zur linken Niere. Zur Gerinnungshemmung erhielt der Kläger Tranexamsäure. Nach der Operation stellten die Ärzte eine Pupillendifferenz und eine motorische Schwäche der rechten Köperseite fest. Im MRT zeigte sich ein Schlaganfall, so dass notfallmäßig eine Hemikraniektomie durchgeführt werden musste. Bei den nachfolgenden Untersuchungen stellten die Ärzte eine Thrombose in der vena juguluris, der inneren „Drosselvene“ am Hals, fest. Zudem zeigte sich ein persistierendes Foramen ovale (PFO). Dabei handelt es sich um ein aus der Embryonalzeit fortbestehendes ovales Loch im Herzen zwischen dem rechten und dem linken Vorhof, das sich normalerweise von selbst verschließt. Der Versicherte leidet seit dem Schlaganfall an einer Tetraparese, ist dauerhaft bettlägerig und kann sich verbal nicht mehr äußern.

Nach Einholung eines Gutachtens (bei einem Orthopäden) meinte die Unfallversicherung, dass es sich bei dem PFO um eine Krankheit oder ein Gebrechen handele. Der Schlaganfall führe zu einer Invalidität von 100%, aber nur wegen der Öffnung im Herzen. Ohne dieses PFO wäre es „nur“ zu einer Lungenembolie gekommen. So sei der Thrombus durch die Öffnung im Herzen gewandert, so dass der Schlaganfall und damit die Dauerschäden durch das PFO verursacht worden seien.

Gericht verurteilt Unfallversicherung zu 114.000 EUR Invaliditätsleistung und lebenslanger Unfallrente

Der im gerichtlichen Verfahren beauftragte Kardiologe stellte fest, dass der Schlaganfall ohne Vorliegen eines PFO wahrscheinlich nicht eingetreten wäre und die Thrombose ohne Mitwirkung des PFO nicht den eskalierenden Verlauf genommen hätte. Dies hat allerdings im Ergebnis keine Rolle gespielt, da ein PFO weder eine Krankheit noch ein Gebrechen darstellt. Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, dass sich das Loch im Herzen bei ca. 25% der Bevölkerung nicht verschließt. Daher gelte das PFO in der Medizin als Normvariante ohne Krankheitswert, die keiner ärztlichen Behandlung bedarf. Zudem schränke ein PFO die Betroffenen auch nicht bei der Ausübung normaler Körperfunktionen ein. Von daher handelt es sich bei einem PFO auch nicht um ein Gebrechen. Denn dieses schränke die Betroffenen in keiner Weise bei der Ausübung normaler Körperfunktionen ein. „Die private Unfallversicherung hat damit weder das Vorliegen einer Krankheit noch eines Gebrechen beweisen können“, so Rechtsanwalt Melzer, der den Kläger außergerichtlich und vor dem Landgericht Frankenthal (Pfalz) vertreten hat.

Das Landgericht Frankenthal hat die Unfallversicherung daher verurteilt, 114.000,00 EUR und eine lebenslange Unfallrente an unseren Mandanten zu zahlen. Der Fachanwalt für Medizin- und Versicherungsrecht aus dem Kreis Paderborn, der bundesweit Verfahren auf dem Gebiet der Unfallversicherung führt, ist optimistisch, dass das Urteil auch in der von der Versicherung eingelegten Berufung beim OLG Zweibrücken halten wird, denn

„nach der Rechtsprechung des BGH kann ein Gebrechen nur angenommen werden, wenn dadurch die Ausübung normaler Köperfunktionen beeinträchtigt wird, was bei einem PFO gerade nicht der Fall ist. Der Gutachter hat in der mündlichen Verhandlung anschaulich ausgeführt, dass man damit ohne Probleme einen Marathon laufen und sogar beim Iron-Man teilnehmen könne“.

RA Melzer, Fachanwalt für Medizin- und Versicherungsrecht

Landgericht Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 25.06.2020 – 3 O 243/18
Auf den Hinweisbeschluss des OLG Zweibrücken vom 19.10.2021 – 1 U 156/20 hat die Beklagte die Berufung zurückgenommen

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