Westfälisches Volksblatt, 15.08.2019
Dieser Schuss ging nach hinten los: Gut 50.000 Euro hat eine Versicherungsgesellschaft vor Gericht von einer Kundin zurückverlangt. Doch am Ende des Prozesses wurde die Versicherung verurteilt: Sie muss der Rentnerin 43.000 Euro überweisen. Von Christian Althoff
Die Frau aus Salzkotten, die rechts eine Schulterprothese hatte, besaß seit Jahren mehrere Unfallversicherungen bei der Ergo-Versicherung.
2013 stürzte die Salzkottenerin beim Holunderpflücken so unglücklich, dass der rechte Oberarm und die Schulter brachen und mehrere Operationen notwendig wurden. Es kam zu einer Infektion, und letztlich mussten die oberen sechs Zentimeter des rechten Oberarmknochens entfernt werden, so dass kein Schultergelenk mehr vorhanden war und der Arm einfach herunterhing. Ellenbogen und Handgelenk ließen sich aber noch bewegen.
Widerklage
In einem Rechtsstreit kann der Beklagte unter Umständen die sogenannte Widerklage gegen den Kläger erheben. So kann in einem einzigen Prozess über die gegenseitigen Forderungen zweier Parteien verhandelt werden. Das dient der Prozessökonomie und verursacht geringere Kosten als weitere Prozesse. Die Widerklage stellt einen Gegenangriff des Beklagten dar, der auch zu einer Verurteilung des ursprünglichen Klägers führen kann.
Zwei Professoren begutachten die Rentnerin
Die Unfallversicherung ließ die Rentnerin von zwei Professoren begutachten. Sie bewerteten die unfallbedingte Funktionseinschränkung des rechten Arms mit einem Invaliditätsgrad von 28 Prozent. Daraufhin zahlte die Ergo-Versicherung der Frau 2015 insgesamt 73.500 Euro aus drei Versicherungsverträgen.
Marc Melzer, Fachanwalt für Medizin und Versicherungsrecht aus Bad Lippspringe: »Sowohl ein Versicherer als auch ein Kunde können den Grad der Invalidität bis zu einem gewissen Zeitpunkt nach einem Unfall erneut bemessen lassen, wenn sie annehmen, dass sich der Zustand gebessert oder verschlechtert hat.« 2016 ließ die Ergo die Rentnerin erneut begutachten, wobei die Umstände umstritten sind. Die Versicherung gab an, die Frau habe darum gebeten, weil sie gemeint habe, ihr Zustand habe sich verschlechtert. Die Rentnerin dagegen behauptete, sie sei gegen ihren Willen erneut untersucht worden.
Anwalt rät Frau sich verklagen zu lassen
Der neue Gutachter bewertete den Vorschaden durch das Schulterimplantat höher als seine Kollegen und kam auf einen unfallbedingten Invaliditätsgrad von nur noch 17,5 Prozent. Daraufhin forderte die Versicherung von ihrer Kundin 51.279 Euro zurück. Marc Melzer, riet der Frau, nicht zu zahlen und sich verklagen zu lassen. Die Versicherung reichte Klage beim Landgericht Paderborn ein, und der Anwalt erhob Widerklage (siehe Stichwort).
Marc Melzer: »Es ging der Versicherung bei der erneuten Begutachtung nicht darum, den aktuellen Gesundheitszustand meiner Mandantin zu bewerten. Sie hat vielmehr das Ergebnis ihrer eigenen ersten Begutachtung in Frage gestellt und die Frau deshalb erneut untersuchen lassen.«
Das Landgericht beauftragte einen eigenen medizinischen Gutachter. Er wertete die Krankenunterlagen samt Röntgenaufnahmen aus. Zum Schluss bewertete er die Vorschädigung der rechten Schulter als so gering, dass sie nach Auffassung des Gerichts bei der Berechnung der Entschädigung überhaupt nicht hätte berücksichtigt werden dürfen. Deshalb stehe der Frau mehr Geld zu, als sie bekommen habe, entschied die 3. Zivilkammer. Marc Melzer: »Die Versicherung wurde verurteilt, neben den bereits gezahlten 73.500 Euro weitere 43.050 Euro zu überweisen.« Das Urteil ist rechtskräftig. Az.: 3 O 49/17