ARD Plusminus: „Schlechte Versorgung im Notfalldienst“

TV-Interview mit Rechtsanwalt Melzer am 16. September 2008 im Ersten (ARD)

Autor: Jörg Hilbert

„Die Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer sind nach § 75 SGB V dazu verpflichtet, einen Notfalldienst außerhalb der üblichen Öffnungszeiten der Arztpraxen aufrecht zu erhalten. Dafür können sie alle niedergelassenen Ärzte zum Dienst verpflichten – egal welcher Fachrichtung sie angehören. Folglich müssen Pathologen und Radiologen genauso den Dienst machen wie Dermatologen.

Dahinter steckt die Auffassung: Jeder Arzt müsse im Notfall helfen können, dafür reiche die ärztliche Grundausbildung. Mit der Realität hat das allerdings wenig zu tun. Fachärzte sind zwar gut ausgebildete Spezialisten, doch mit dem traditionellen Arztbild hat ihre Arbeit oft nur noch wenig zu tun. So sind Urologen in ihrer Praxis nur äußerst selten mit einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall konfrontiert. Ein Dermatologe sieht sicher kaum ein Kind mit Blinddarmentzündung.
Im Notfalldienst sind diese Ärzte aber mit solchen lebensbedrohlichen Erkrankungen konfrontiert. Dann müssen sie schnell entscheiden, was zu tun ist.

„Da muss ich dann in der Nacht oder am Wochenende Dinge machen, die ich in meiner Praxis nicht machen darf, für die ich mich nicht richtig kompetent fühle“, gesteht ein zum Notfalldienst verpflichteter Urologe aus Hessen. Doch weigern kann er sich nicht: Dann droht der Entzug der Kassenzulassung.

Insbesondere auf dem flachen Land fehlt es schon jetzt an Allgemeinmedizinern, die den Notfalldienst qualifiziert abdecken. Wohl auch deshalb kommt es dort zu besonders seltsamen Dienstverpflichtungen. Im niedersächsischen Walsrode soll ein Facharzt für Psychotherapie zum Notfalldienst herangezogen werden. Der Arzt hat fünfzehn Jahre lang keinen Patienten mehr medizinisch behandelt, das heißt, keine Spritze gegeben, keinen Blutdruck gemessen und keine Lunge abgehorcht. Er hat das getan, was ein Psychotherapeut halt macht: Mit seinem Patienten geredet. Jetzt soll er im Notfalldienst entscheiden, wer ein Fall für das Krankenhaus oder für den Notarzt ist. Die Kassenärztliche Vereinigung hat ihm ein Jahr Zeit gegeben, sich auf den Notfalldienst vorzubereiten. „Ich kann doch nicht in Fortbildungen das nachholen, was ich jahrelang nicht gemacht habe.“

Der Psychotherapeut weigert sich, den Notfalldienst anzutreten, und will das notfalls vor Gericht durchsetzen. Das wäre sicher im Sinne der Patienten. Die ahnen oft gar nicht, wer kommt, wenn sie beim kassenärztlichen Notfalldienst angerufen haben. Es kann ein Pathologe sein, der sich das kranke Kind anschaut.“

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