Arbeitsunfähigkeit von 6 Monaten? VN muss das Bestehen einer Berufsunfähigkeit prüfen – VK 2016, 120

OLG Koblenz, Beschluss vom 24. Februar 2016 – 10 U 910/15

  1. Ist der Versicherungsnehmer einer Berufsunfähigkeitsversicherung über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten hinaus ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt, so muss er das Bestehen einer Berufsunfähigkeit in Betracht ziehen, wenn die einschlägigen Versicherungsbedingungen die Klausel enthalten: „Ist der Versicherte sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls … vollständig oder teilweise außerstande gewesen, seinen Beruf auszuüben, so gilt die Fortdauer dieses Zustandes als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit“.
  2. Das gilt auch dann, wenn die behandelnden Ärzte immer wieder baldige Genesung in Aussicht stellen und der Versicherungsnehmer beim zuständigen Sozialversicherungsträger einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Erwerbsleben und nicht etwa einen Rentenantrag gestellt hat.
  3. Dem Versicherungsnehmer, der in dieser Situation die objektiv eingetretene Berufsunfähigkeit nicht innerhalb der vertraglich vorgesehenen Fristen dem Versicherer anzeigt, versäumt diese Fristen regelmäßig schuldhaft

 

Revision beim BGH anhängig unter Az. IV ZR 90/16

Anmerkung von RA Melzer in VK 2016, S. 120 ff.

Die Klägerin, seit 2011 durchgehend arbeitsunfähig, stellte Ende 2012 einen Antrag auf Leistungen zur Leistungen am Arbeitsleben bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, da nach Ansicht ihrer behandelnden Ärzte mit einer Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit zu rechnen sei. Im März 2014 teilte die Rentenversicherung jedoch mit, dass von voller Erwerbsunfähigkeit auszugehen sei. Die Klägerin erklärte darauf hin, dass sie mit einer Umdeutung ihres Antrags in einen Rentenantrag einverstanden sei. Vor diesem Hintergrund machte die Klägerin im März/April 2014 (erstmals) Leistungen aus einer bei der Beklagten genommenen Berufsunfähigkeitsversicherung geltend.

Die Beklagte gab im Juli 2014 ein Anerkenntnis ab und gewährte die Versicherungsleitungen (BU-Rente und Beitragsbefreiung) ab Mai 2014. Zur Begründung führte sie an, dass nach den Versicherungsbedingungen der Anspruch auf Beitragsbefreiung und Rente zwar grundsätzlich mit Ablauf des Monats entstehe, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten sei. Wenn aber, wie hier, die Berufsunfähigkeit später als drei Monate nach ihrem Eintritt schriftlich mitgeteilt werde, entstehe der Anspruch erst mit Beginn des Monats der Mitteilung, es sei denn, die verspätete Anzeige erfolgte ohne schuldhaftes Versäumen des Anspruchserhebenden.

Die daraufhin erhobene Klage auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung von August 2011 bis April 2014 begründete die Klägerin damit, dass sie auf die ärztlichen Prognosen habe vertrauen dürfen, in absehbarer Zeit wieder arbeitsfähig zu werden. Deshalb habe sie die Anzeige ihrer Berufsunfähigkeit nicht schuldhaft zu spät vorgenommen. Ihr könne nicht vorgeworfen werden, dass sich die ärztliche Prognose als unzutreffend erwiesen habe. Sie habe aufgrund dieser ärztlichen Hinweise nicht vor der Antragstellung bei der Beklagten Kenntnis gehabt und hätte auch keine Kenntnis haben können, da eine Berufsunfähigkeit – hier von voraussichtlich zwei Jahren – nicht vorliege, wenn ein weiterhin therapierbarer Zustand bestehe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da die Klägerin bereits nicht schlüssig vorgetragen habe, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung im Jahre 2011 für prognostisch mindestens zwei Jahre nicht in der Lage gewesen sei, ihren Beruf auszuüben, hilfsweise aber auch nicht schlüssig vorgetragen habe, dass die verspätete Anzeige der Berufsunfähigkeit ohne schuldhaftes Versäumen ihrerseits erfolgt sei. Dass nach dem Vortrag der Klägerin dieser immer wieder von den Ärzten der Eindruck vermittelt worden sei, nach der nächsten Operation bestünde die Arbeitsfähigkeit wieder, spreche gegen das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit, da diese erfordere, dass der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens zwei Jahre außerstande sein werde, seinen Beruf auszuüben und diese Prognose damit nach dem Vortrag der Klägerin nicht gegeben sei. Es sei jedoch auch unverständlich, weshalb die Klägerin den Leistungsantrag bei der Beklagten nicht bereits früher, jedenfalls jedoch im Laufe des Jahres 2011, gestellt habe, da sie nach den von ihr geschilderten Beschwerden und ihrem anhaltenden Leidensweg hinreichend Veranlassung zu einem Leistungsantrag bei der Beklagten gehabt habe. Da die Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund nicht präjudizierend für das vorliegende Verfahren sei, habe keine Notwendigkeit bestanden, die Vorlage eines Rentenbescheides und dessen Feststellungen abzuwarten, um die Berufsunfähigkeit gegenüber einer privaten Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend machen zu können.

Die Berufung der Klägerin zum OLG Karlsruhe wurde mit Beschluss vom 24.02.2016 zurückgewiesen, nachdem zuvor ein Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erging, wonach die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe.

Die OLG-Entscheidung ist im Ergebnis völlig richtig, da die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin bereits unschlüssig vorgetragen hat. So hat die Klägerin selbst vortragen lassen, dass eine Prognose bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit für die Zeit vor Abgabe des Anerkenntnisses der Beklagten nicht möglich gewesen sei und sie eben deswegen keinen BU-Antrag gestellt habe. Zu widersprechen ist jedoch der Ansicht des Senats, dass die Klägerin wegen der hier in § 2 Nr. 4 BBUZ vereinbarten Fiktion nach einer sechs Monate andauernden Arbeitsunfähigkeit das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit ernsthaft in Betracht ziehen und dementsprechend einen Leistungsantrag bei der Beklagten hätte stellen können und müssen. Die Klausel will vielmehr dem VN „unter die Arme greifen“, wenn – allein – in zeitlicher Hinsicht keine medizinische Prognose möglich ist, also eine Aussage über die voraussichtliche Dauer der Berufsunfähigkeit. Mit anderen Worten: Der Grad der (vollständigen oder teilweisen) Berufsunfähigkeit wird hier gerade nicht (unwiderleglich) fingiert, sondern allein die voraussichtliche Dauer. Der VN hat in diesem Fall „nur“ nur das Andauern des Zustandes zu beweisen (BGH, Urt. v. 15.01.1992, IV ZR 268/90 = VersR 1992, 1118). Es kommt auch nicht darauf an, ob ein Sachverständiger nachträglich die Ansicht vertritt, die bisherigen Behandlungsansätze hätten ihr Ziel verfehlt und mit einer anderen Therapie wäre es nicht zu einer mehr als sechsmonatigen Berufsunfähigkeit geführt, da die Fiktion den VN schützen soll und der VR zugesagt hat, von einer ungünstigen Prognose schon dann auszugehen, wenn lediglich feststeht, dass der VN gesundheitsbedingt ganz oder teilweise außerstande ist seine Beruf auszuüben und dieser Zustand andauert (BGH, Urt. v. 28.02.2007, IV ZR 46/06 = VersR 2007, 777).

Vor diesem Hintergrund erscheint es abwegig, wenn die den VN schützende Klausel gegen ihn verwendet wird. Auch im Falle einer behaupteten „mitgebrachten“ Berufsunfähigkeit muss der VN beweisen, dass er während der Dauer des Vertrages berufsunfähig geworden ist. Nach der hier vertretenden Ansicht kann sich der VR nicht auf die fingierte Berufsunfähigkeit berufen, die ihn zu Gunsten des VN zu binden bezweckt.

Der sicherste Weg in der Beratung wird es gleichwohl sein, den mehrere Monate erkrankten VN auf die Stellung eines BU-Antrages hinzuweisen, nicht zuletzt auch deswegen, weil das „Stammrecht“ der dreijährigen Verjährung, ab der Entstehung des fälligen Anspruchs, unterliegt.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner